Aufgabe
Wolfsburg vollzieht seit einigen Jahren einen „Modellwechsel“ von der Werksstadt zu einer Stadt mit vielfältigem Dienstleistungs- und Freizeitangebot. Zwei markante Beispiele seien genannt: Im Jahr 2000 wurde direkt am Mittellandkanal neben den Werksgebäuden von VW die Autostadt eröffnet – ein Erlebnispark rund um die Automobilität, konzipiert von dem Architekten Gunter Henn. In diesem Jahr wird nun als markantes Pendant dazu das Wissenschaftsmuseum Phaeno nach dem preisgekrönten Wettbewerbsentwurf von Zaha Hadid eröffnet. 78 Millionen Euro hat das Science Center gekostet. Unter der Leitung von Joseph Ansel, dem ehemaligen Leiter des „Exploratoriums“ in San Francisco, sollen jährlich rund 180.000 Besucher nach Wolfsburg ins Phaeno strömen und an 250 interaktiven Stationen Phänomene der Naturwissenschaft und Prinzipien der Technik spielerisch entdecken. Vor allem aber dürfte das Bauwerk selbst bautechnisch wie räumlich reichlich „Aha-Erlebnisse“ auslösen: Aus selbstverdichtenden Beton formten Zaha Hadid und ihre Lörracher Projektpartner Mayer & Bährle ein fluides Baukunstwerk, in dem die Grenzen zwischen Innen- und Außen verschwimmen, Decke, Boden und Wände miteinander verschmelzen. Die Innenraumqualität ist durch detailgenauen Trockenbau veredelt. „Bereits bei der Planung des Rohbaus muss vom Prinzip her klar sein, wie es Innen aussieht“, erklärt Architekt Peter M. Bährle. Die integrative Zusammenarbeit mit Knauf in einer frühen Planungsphase bewertet er als Basis, um ein hohes bautechnisches und ästhetisches Niveau im Innenraumdesign erreichen zu können.
Phaeno – selbst ein Phänomen
Wer mit der Bahn kommt, hat es nicht weit zur neuen Experimentierlandschaft. Direkt neben dem Bahnhof am Mittellandkanal steht der scharfkantig zulaufende Baukörper auf zehn riesigen, trichterförmigen, unterschiedlich geneigten und geformten „Füßen“, die durch ihr Gewicht die gesamte Grundstücksfläche morphologisch zu verwerfen scheinen. Durch diese künstlich modulierte Landschaft aus Leichtbeton flaniert der Besucher zum Gebäude und wird dabei von vielschichtigen Blickbeziehungen zur City, zum Bahnhof, zur Autostadt oder zum Volkswagenwerk überrascht. Taucht er schließlich ein in den offenen Raum unterhalb des Museumskörpers, der wie eine gewaltige, zugleich hell erleuchtete Höhle wirkt, gelangt er in eine „kleine City in der City“ mit öffentlichen und kommerziellen Funktionen: In den zehn Raumstützen, auch Cones genannt, sind Science-Shop, Eingänge zum Museum, Wissenschaftstheater, Ideenraum, Gastronomie und Werkstätten sowie sämtliche gebäudetechnische Infrastruktur integriert. Unterhalb dieser Topographie nimmt die Tiefgarage das gesamte Grundstück ein, 7,50 Meter darüber „schwebt“ das eigentliche Science Center. Die Ausstellungsfläche von rund 7000 m² hat Zaha Hadid ebenfalls landschaftlich geformt. Aus einer durchgehenden Ebene entwickeln sich Krater, Terrassen, Plateaus und Höhlengebilde, die durch die einheitlich weiße Farbgebung einen sphärischen Charakter erhalten. Die Architektur zeigt Suggestivkraft für eine Ausstellungstypologie, die auf persönliche Entdeckungslust und Neugier setzt. Keine Stütze stört den dynamischen Raumfluss. Selbst das netzartige Stahltragwerk des Daches folgt mit mehreren Höhensprüngen der Idee von einem kontinuierlich fließenden Raum.
Bau einer räumlichen Vision
„Die Statik des Gebäudes lässt sich vereinfacht mit dem Bild ‘Tischplatte mit zehn Füßen’ umschreiben“, erläutert der Architekt Peter M. Bährle die konkrete Umsetzung des visionären dynamischen Entwurfs in „reale“ Architektur. Das stützenfreie Ausstellungsgeschoss und das darüber liegende Dach werden von den zehn Cones getragen, die ihrerseits erst durch den Verbund mit der Decke stabilisiert werden. Extreme Neigungswinkel mit bis zu 40 Grad, unregelmäßige Geometrien und ausgereizte Spannweiten kennzeichnen den Baukörper aus Sichtbeton, der größtenteils vor Ort mit selbstverdichtendem Beton hergestellt wurde. Lediglich die Fassade zur Stadt besteht aus Fertigteilelementen mit ornamentartigen Einlagen und parallelogrammförmigen Fenstern.
Der entwerferische Anspruch, ein Gebäudes möglichst wie „aus einem Guss“ zu fertigen, setzt sich konsequent nach innen fort und ist dort zu einem erheblichen Anteil in Knauf Trockenbautechnologie umgesetzt. Vor allem die Wärmedämmung der „Betonkarosserie“, stellte höchste Herausforderungen an den Innenausbau. Zwar konnte die Innendämmung aus einer 80 Millimeter dicken Schaumglasauflage in Teilbereichen direkt gespachtelt und beschichtet werden, in vielen Bereichen jedoch erforderten der konstruktive Aufbau der Fassade in Verbindung mit wärmetechnischen Maßnahmen an flankierenden Bauteilen den Einbau von Vorsatzschalen. So mussten sämtliche Cones, aber auch Wände und Decken, die an die Außenwände anschließen, mit Kragendämmungen von rund einem Meter Breite ausgeführt werden. Ziel war es daher, die fluiden Formen der Raumstützen durch den Einsatz von Vorsatzschalen und Deckensystemen zu bewahren.